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[second level] 21.11.02
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[third?level]?29.08.03 - 26.09.03
Privatisierung und freier Markt
Anmassende Quergedanken
Es gibt ein stark polarisiertes Verhandlungsthema in Politik
(regional, national, und international) und Wirtschaft (die Dank der
überreifen und unbeschützten oder nicht existierenden
Demokratie in weiten Teilen der Welt die Politik regiert):
Privatisierung und freier Markt.
In diesem Artikel möchte ich zuerst (so dilettantisch wie ein
Laie das tut) darlegen, was für die freie Marktwirtschaft
charakteristisch ist. Danach verteidige ich meine momentane Meinung zur
Privatisierung von öffentlichen Institutionen.
Freier Markt
Die freie Marktwirtschaft in Reinform ist eine Illusion.
Unter einigen Gesichtspunkten nicht sehr anders als der Kommunismus
ist sie ein Konstrukt, das vom Menschen in reiner Form nicht realisiert
werden kann. Denn beide schliessen ein Establishment a priori aus: Das
eine, weil alle gleiches haben und bekommen, das andere, weil jeder
auch noch so erfolgreiche von einem andern wieder übertrumpft
werden kann.
Als Begriff ist sie genauso wie der Kommunismus ein gutes Mittel,
dem Volk Sand in die Augen zu streuen und ihm Entscheidungen
unterzujubeln, die einem einen - wohl meist materiellen - Vorteil
verschaffen.
In einem gegebenen System gibt
es eine gemeinsame Sprache.
Betrachten wir also ein solches und nennen es Volkswirtschaft. Wenn sie
eine "ideal freie" wäre, würde alles durch Angebot und
Nachfrage beherrscht. Das klingt gut. Alles wird billiger und besser.
Logisch: wenn ein Gut zu teuer ist, wird im Nu jemand dasein, der es
billiger anbietet, und wenn eines von zu schlechter Qualität ist,
wird im selben Nu jemand dasein, der bessere Qualität liefert.
Wobei sich die Wahrnehmung und Reklamation und Verkündung all
dieser Eigenschaften in der oben erwähnten Sprache ausdrückt.
Was geschieht mit den Teilen des Systems, welche die Sprache nicht sprechen?
Beispiele:
- die Natur (Flora, Fauna, Landschaft, der Planet Erde, welche alle
notorisch weder eine banale Sprache sprechen noch von sich aus
Anwälte anheuern können)
- Effekte, die sich erst nach dem Abschluss des Güterkonsums
manifestieren ("Krebsförderung", Salmonellen, Schwermetalle, DDT,
Materialverschleiss etc.)
- Uninteressierte oder überforderte Menschen (der Pöbel,
"Büezer", "Alte").
Mein Anliegen ist es also, dass bei jeglichen Diskussionen
um "freien Markt" die Frage nach den "Sprachlosen" gestellt wird. Und dass man sich nicht davon
abbringen
lässt.
Denn Ablenkung ist das, wofür es in dieser Diskussion die
handfestesten Gründe gibt. Um die Gedanken der Leserin anzustossen,
seien da folgende Beispiele erwähnt:
- Je nach Produkt oder Dienstleistung können die Kosten
für das Erfüllen von Umweltgesetzen (d.h. für das
berücksichtigen der sprachlosen Natur) sehr hoch werden, und sind -
wenn man nicht grundsätzlich von der Erhaltungswürdigkeit der
Natur überzeugt ist oder sie einem einfach unter anderen
Prioritäten untergeht - 100% überflüssig und somit mit
grossem Budget anzufechten.
- Dasselbe gilt für Qualitätsvorschriften, welche den
zweiten der obigen Punkte kompensieren sollten.
- Hat die Konsumgesellschaft zu leichten Zugang zu
unabhängiger Information, dann leidet der Return on Investment beim
Marketing. Wer nicht hinterfragt - oder eben nicht die Musse oder
Möglichkeit dazu hat -, ist viel einfacher zu beeindrucken und zu
sinnlosem Konsum zu verleiten.
Des Weiteren lässt sich auch aus den oben erwähnten
sprachlosen Teilen des Systems ableiten, auf wessen Kosten man am
meisten Einsparungen und somit Profit machen kann.
?bernehme ich also eine Eisenbahngesellschaft, drücke ich
die Löhne des Personals, fahre ich dessen Arbeitsbedingungen an
den Rand der Illegalität (Arbeitszeiten, Sicherheit), und
investiere am liebsten nicht mehr in den Unterhalt des Schienennetzes
oder das Rollmaterial. Mit einem Teil des Ersparten kann ich dann noch
die Oberfläche - Sitzbezüge, Wagenbemalung - aufmotzen, damit
der Passagier meint, die Privatisierung sei eine gute Sache gewesen...
Ganz nach den durch die Kybernetik offensichtlichen Sachverhalten
ist es unabdingbar, den Markt in einen Rahmen einzubetten, in dem er
sich selbständig entwickeln kann, ohne das übergeordnete
System - z.B. die Gesellschaft, die Natur - zu beeinträchtigen.
Diese Einbettung sollte als solche öffentlich, explizit und
konkret diskutiert werden.
Privatisierung öffentlicher Institutionen
Mit dem Bevölkerungswachstum kam die Notwendigkeit von
Infrastruktur - Strassen, Wasserversorgung, Abwassermanagement,
Postdienste. Es schien wohl selbstverständlich, dass es eine
kollektive Aufgabe war, sie aufzubauen und zu erhalten.
Mit dem technologischen Fortschritt kam die Veredelung dieser
Infrastruktur - Radio, Fernsehen, Telefon kamen dazu. Der Aufbau der
neuen Technologien war kapitalintensiv und von ungewisser Zukunft. Es
lag auf der Hand, dass dies auch aus öffentlicher Hand
geschöpft werden sollte.
Gleichzeitig entwickelt sich die Wirtschaft, privates Kapital
fliesst immer freier, kann sich zu immer grösseren Beträgen
zusammenziehen und wird so mächtig wie das des Staates und
mächtiger. Es ist - finanziell gesehen - plötzlich diskutabel,
weshalb nur der Staat solche Geschäfte betreiben sollte.
Und es erscheint - finanziell - selbstverständlich, dass nun
Private diese Dienstleistungen auch anpreisen dürfen sollten. Und
um einen fairen Wettbewerb gewährleisten zu können, sollten
die staatlichen Betriebe von staatlichen Subventionen abgeschnitten
oder gar privatisiert werden.
All dies sind scheinbar "logische" und somit vertretbare
Folgerungen.
Was nun aber in der Hitze der Diskussion untergeht, ist die oben
dargelegte Perspektive. Die Vernachlässigung der "sprachlosen"
Elemente. Denn bei der "Entstaatlichung" eines Marktes wird schlagartig
von gesellschaftszentriert auf profitzentriert umorientiert.
Es geht also nicht mehr um die Sicherung von Lebensgrundlagen,
sondern um die Maximierung von privatem Gewinn. Wobei das letztere ein
erhöhtes Risiko für das erstere mit sich bringt.
In einer "gesellschaftszentrierten" Organisation geht es nicht
primär um finanzielle Richtgrössen, sondern der Souverän -
das Volk, resp. seine Repräsentanten - ist frei, praktisch
beliebige Richtlinien und Massstäbe zu definieren, nach denen
gehandelt und entschieden wird. Es ist also in einer solchen "Firma"
schon eine Herkulesaufgabe, überhaupt dieses Regelwerk
festzulegen, geschweige denn nach ihnen zu managen. Diese
Herkulesaufgabe ist für öffentliche Unternehmen diejenige der
Politik. Und alle Teile des Systems (egal ob sprachlos oder nicht) können dabei
berücksichtigt und einbezogen werden. Selbstverständlich
führt das manchmal oder gar manches mal zu überbordender
Bürokratie oder Unbeweglichkeit und Ineffizienz - doch da muss
wieder die Dynamik der Politik spielen.
In der "profitzentrierten" Organisation fällt die ganze
Herkulesaufgabe weg. Denn da "regiert Geld die Welt". Da steht die
Politik mit ihren von der Gesellschaft diktierten Priorisierung und
Wertvorstellungen aussen vor, d.h. sie kann sich nur noch über
gezielte, z. T. sehr schwierig durchsetz- oder kontrollierbare Gesetze
für die "sprachlosen" Teile einsetzen. Sicherheit und
Verfügbarkeit von Gütern oder Dienstleistungen können
nicht mehr per se
Unternehmensziel sein, und gesellschaftsweit vitale Infrastruktur kann
plötzlich wegen eines Börsencrashs ausfallen.
Schluss
Aus all diesen Gedanken komme ich zu dem Schluss, dass Essentielle Infrastruktur nicht privatisiert werden darf.
Wobei die Definition von "essentiell" durch Politik definiert werden
muss. Und Diskussionen um die Privatisierung von Staatsbetrieben soll
sich nicht darin erschöpfen, wieviel billiger dann eine
Dienstleistung wird, oder wie viel mehr Eigenverantwortung die
Bürgerin dann bekommt.
Wie eingangs erwähnt, ist dies ein viel besprochenes Thema, mit
vielen guten Argumenten, die ich hier nicht erwähnen wollte.
Mehr Grundsatzdiskussion erspart ganz viel Kleinkram.
"Was ist für das funktionieren Ihres Alltags essentiell?"
sollte eine Frage an das Volk sein, nicht "Soll der Staat 150 Millionen
in dieses Projekt stecken?", "Soll die Firma XY auf Staatskosten
saniert werden?", "Soll der Teuerungsausgleich für ... von 3.4 auf
3.3 herabgesetzt werden", etc., etc.
© 2002-2004 Luzi Schucan-Wernli | kugelfisch@gmx.net
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