[01.07.2005]

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[second level] 21.11.02

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[third level] 25.10.02

Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn

Aufsatz-, Zitat- und Vortragsammlung von Viktor Frankl

In diesem Buch geht es um die Auszeichnung des Menschen unter den Erdenbewohnern durch seinen Drang zur Suche nach dem Sinn. Viktor Frankl distanziert sich vom "Psychotrend" zur Denaturierung des Menschlichen Wesens. Er spricht sich klar gegen die Auffassung aus, dass Umstände allein das Leben des Individuums unverrückbar festlegen. Für mich ist das Buch ein Durchbruch zu einer ungeahnten Freiheit, die in jedem von uns sitzt, die uns aber durch Schule, Propaganda, Tradition und Marketing systematisch abgeschwätzt wird.

Ich lese aus diesem Buch, dass uns die Erkennung eines über uns hinausgehenden (ein uns selbst "transzendierenden") Zieles von ganz viel Zwang und Steuerbarkeit befreit. Der Mensch definiert sich durch seine Reaktion auf Umstände.

Mein Alltag ist seit der Lektüre dieses Buches bereichert durch eine erhöhte Aufmerksamkeit bei jedem "Das ist halt so", "Das muss ich halt" oder dergleichen. Allzu oft entdecke ich bei mir, dass ein vermeintlicher Zwang gar nicht vorhanden ist. Das ich in viel mehr Fällen als ich früher dachte frei entscheiden kann.

Es hat sich auch meine Einstellung zu "Schicksalsschlägen" im weitesten Sinne gewandelt. Wo ich mich früher vielleicht empört, genervt, verwunschen, gefürchtet hatte, kann ich heute mit dem sehr starken Gefühl auf die Situation zugehen, dass mir hier wieder eine Gelegenheit geboten wird, wo ich mich (den Menschen) definieren kann. Zum fiktiven konkreten Beispiel mag ich meinen, es sei schrecklich, dass ich kein Auto sondern nur ein Fahrrad habe. Ich kann mich bei jeder Steigung und jedem Regen beliebig ausgiebig ärgern. Entdecke ich diese Situation aber als eine neue Gelegenheit, meinen Charakter zu bilden, entwickelt sich sofort ein Gefühl von Stolz und Würde, und ich fahre erhobenen Hauptes durch die Strassen!

Natürlich wird auch der Umgang mit "Untergebenen" im weitesten Sinne - Mitarbeiter, eigene Kinder, Schüler - von der Thematik tangiert. So hat man doch neue Ansätze, wie man diese Leute zufrieden machen kann. Nicht, indem man ihnen Zufriedenheit gibt ("Hier habt ihr Gutscheine für den Fitnessclub"), sondern indem man ihnen Gelegenheiten liefert, ein sie transzendierendes Ziel anzustreben ("Wir wollen die zufriedensten Gäste haben"). 

Ich empfehle Leuten,

  • die sehr tolerant sind gegenüber sehr komplizierter Ausdrucksweise - also ein langes Durchhaltevermögen haben, bevor sie definieren, dass auch weiteres Lesen das gelesene nicht mehr verständlich werden lassen kann, und ein Buch aufgeben, 
  • die interessiert sind an den Gedanken eines schwer geprüften und (trotzdem - oder eben deswegen!?) sehr erfolgreichen Menschen,
  • die sich für die Logotherapie interessieren oder Psychologie oder Psychiatrie betreiben, 

dieses Buch zu lesen.

Ich selbst möchte die Lektüre dieses Buches auf gar keinen Fall missen.


Viktor Frankl war sowohl vor als auch nach dem zweiten Weltkrieg als Neurologe und Psychiater zuerst in Wien und später in den Vereinigten Staaten von Amerika tätig. Unter anderem ist er der Begründer der Logotherapie. Im Laufe des Krieges wurde er als Jude durch mehrere Konzentrationslager geschleust. Diese Tatsache ist im Zusammenhang mit seiner Arbeit und seinem Lebenswerk so sehr erwähnenswert, da er dort seine eigenen - z.T. schon vorhandenen - Ideen hat verifizieren, erleben, entwickeln, schärfen und überleben können und müssen. Das durch diesen Lebenslauf entstandene Repertoire an erschütternden Erlebnissen und Beispielen hat einen tiefen Eindruck und viel Respekt für seine Person und seine Ideen bei mir hinterlassen. Herr Frankl ist erst 1997 gestorben.

Viktor Frankl scheint mir ein Mann mit einem einzigen Gedankengebäude gewesen zu sein. Und da die lineare, eindimensionale Struktur unserer geschriebenen Sprache für die Übermittlung eines solchen Gebäudes eigentlich ziemlich ungeeignet ist, ist es nur angebracht, eine Annäherung über möglichst viele verschiedene Wege, sprich Texte, zu unternehmen. Das wird in diesem Buch dadurch ermöglicht, dass es eben eine Sammlung von Vorträgen und Zitaten aus den Jahren 1946-1976 und von Textfragmenten aus dem Gesamtwerk ist. Ich kann und möchte nicht beurteilen, ob es eine Schwäche des Buches oder eine Folge der Komplexität der Sache ist, dass der Grossteil der Texte für mich extrem schwierig und anstrengend zu lesen war. Auch wenn ganz im Sinne der Eingangs erwähnten Hin- und Herprojektion zwischen dem vieldimensionalen Gedankengebäude und dem eindimensionalen Text vieles im Nachhinein ganz klar erschien, war das tatsächliche Lesen streckenweise eine grosse Herausforderung für mich.


© 2002-2004 Luzi Schucan-Wernli | kugelfisch@gmx.net



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